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„Hilfe zur Selbsthilfe“:
Lob der Eigenverantwortung

„Hilfe zur Selbsthilfe“ - Adolph Kolpings Ansatz prägt noch heute unsere Gesellschaft. Von Thomas Dörflinger

30. Januar 2019

Ohne ihn wäre die Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts anders verlaufen. Wenn die Deutschen an die Soziale Frage jener Zeit zurückdenken, dann fällt sein Name neben dem von Karl Marx wohl am häufigsten: Adolph Kolping. Kolping und Marx sind Zeitgenossen, begegnen sich aber nie. Fordert Marx Revolution und gesellschaftlichen Umsturz, setzt Kolping auf Bildung der Arbeiterklasse. Die Not der Gesellen erlebt er selbst mit. Der Sohn eines Schäfers aus Kerpen erlernt das Schusterhandwerk und geht auf Wanderschaft. Diese Jahre prägen ihn nachhaltig. Die unwürdigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse, denen die Gesellen ausgeliefert sind und die auch eine geistige Verwahrlosung zur Folge haben, befördern seine Überlegungen, was dagegen getan werden müsse. Als krankheitsbedingt eine berufliche Auszeit notwendig wird, reift sein Gedanke, Priester werden zu wollen. Mit 24 Jahren drückt er dank einer Mäzenatin nochmals die Schulbank, holt das Abitur nach und studiert Theologie. 1845 wird er in der Minoritenkirche zu Köln zum Priester geweiht.

Kaplan im „deutschen Manchester“

Seine erste Wirkungsstätte findet Adolph Kolping als Kaplan in Wuppertal-Elberfeld. Im „deutschen Manchester“ fokussieren sich die negativen Begleitumstände der Industrialisierung wie unter einem Brennglas. Schon 1846 hat der Hauptlehrer Johann Gregor Breuer dort einen katholischen Gesellenverein ins Leben gerufen, dessen Präses Kolping ein Jahr später wird. Der Verein soll den Gesellen Heimat vermitteln, sowohl materiell als auch ideell. Diese Idee im Gepäck beantragt Kolping seine Versetzung nach Köln und gründet dort am 6. Mai 1849 den Kölner Gesellenverein, die Keimzelle des heutigen Kolpingwerkes. Die sich zunächst im Rheinland und dann rasch darüber hinaus ausbreitende Idee, die neben Gesellenvereinen auch Gesellenhäuser, in denen berufliche, gesellschaftliche und religiöse Bildung vermittelt wird, kennt, zeigt: Kolping hat nicht nur die Notwendigkeit erkannt, für eine damalige gesellschaftliche Randgruppe etwas zu tun, sondern er hat begriffen, dass die katholische Kirche im Wettbewerb mit den Ideen von Karl Marx nur dann reüssieren kann, wenn sie ein konkretes Angebot macht.

Erste Formen einer gemeinnützigen Krankenversorgung und Sparvereine gehören ebenso zum Programm der Gesellenhäuser. Die Idee und der Auftrag, die Gesellen sollten sich durch Fortbildung in die Lage versetzen, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen, hat sich bis auf den heutigen Tag, wenngleich unter veränderten Vorzeichen erhalten; sie findet sich in den Selbstverwaltungsgremien der Handwerkskammern und der Sozialversicherungen.

Seiner Zeit voraus

Die Überlegungen, sich dem einzelnen Menschen aufgrund seiner unveräußerlichen Würde zuzuwenden, den Menschen in seiner Eigenverantwortung zu stärken und gleichzeitig dort eine Hilfe anzubieten, wo der Einzelne überfordert ist, sind zu Lebzeiten Kolpings in der katholischen Kirche alles andere als unumstritten. Die Prinzipien von Personalität, Subsidiarität und Solidarität, die ihrerseits als Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft gelten, finden erst 1891 in der Enzyklika „Rerum novarum“ durch Papst Leo XIII. und deutlicher noch 1931 in „Quadragesimo anno“ bei Pius XI. ihren Niederschlag in der lehramtlichen Soziallehre. Wie Wilhelm Emanuel von Ketteler, den er seit Studienzeiten kennt, fordert Kolping politisches Engagement seiner Gesellen und kritisiert die Rolle des Staates, der die Verelendung breiter Bevölkerungskreise zunächst weitgehend tatenlos hinnimmt. Wer einen Blick in die zahllosen Publikationen Kolpings wirft, die er unter anderem als Herausgeber von Kalendern und Zeitungen erarbeitet, begegnet dort einer Sprache, die auf die arbeitende Bevölkerung zielt; er stellt keine sozialethischen Abstrakta vor, er übersetzt seine Ideen in den Alltag der Menschen. Kolping ist in jeder Hinsicht Praktiker und Pragmatiker. Der wirtschaftliche Erfolg, den er mit seiner (heute würde man sagen) zielgruppenorientierten Medienarbeit hat, legt einen Grundstein für die Aktivitäten der Gesellenvereine und den Bau von Gesellenhäusern. Mit Artikeln, Predigten, Gedichten und vielbeachteten Reden etwa auf den ersten Katholikentagen sucht er sein Publikum für die Soziale Frage zu sensibilisieren.

Eine offizielle Anerkennung seiner Arbeit findet er innerkirchlich erst im Herbst seines Lebens. Obwohl ihn der spätere Wiener Kardinal Anton Gruscha schon in den 1850er Jahren in Österreich tatkräftig unterstützt und damit einen wesentlichen Beitrag leistet, Kolpings Werk zu internationalisieren, kommt das Signal vom Heiligen Stuhl erst 1862. Papst Pius IX. empfängt Adolph Kolping in Rom, würdigt seine Arbeit durch die Verleihung des Ehrentitels „Päpstlicher Geheimkämmerer“ und mit dem Geschenk eines kostbaren Messgewandes. Gesundheitlich schon seit Längerem deutlich angeschlagen, stirbt Adolph Kolping nicht ganz 52-jährig 1865 in Köln. Am 27. Oktober 1991 spricht Papst Johannes Paul II. den „Gesellenvater“, wie er schon zu Lebzeiten genannt wurde, selig.

Heute sind weltweit rund 400 000 Menschen in mehr als 60 Ländern Kolpingmitglied. Diözesan- und Nationalverbände sind wie die Kolpingsfamilien vor Ort miteinander vernetzt.

Quelle:

Die Tagespost

 

Link zum Original-Beitrag in „Die Tagespost“

Dorflinger

Thomas Dörflinger, 2004 bis 2018 Bundesvorsitzender des Kolpingwerkes Deutschland.

Tagespost
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