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AbbKSozialeFrage

Adolph Kolping und die Soziale Frage

 

Band 2 der Schriftenreihe KOLPINGWERK IN STAAT UND GESELLSCHAFT

Inhaltsverzeichni

I. Adolph Kolping und die soziale Frage

II. Einrichtungen der Selbsthilfe

2.1 Krankenkassen

2.2 Sparkassen

2.3 Arbeitsnachweise

III. Kolpingwerk und Gewerkschaften

IV. Berufliche Bildung

V. Kolpingwerk und Sozialpolitik

5.1 Zum sozialpolitischen Engagement des Kolpingwerkes

5.2 Kolping und die Sozialgesetzgebung

.........................................................

 

ll. Einrichtungen der Selbsthilfe

2.1 Krankenkassen

1. Anfänge der Gesellenvereins-Krankenkassen

Zu einem der erklärten Ziele der von Adolph Kolping gegründeten Gesellenvereine gehörte die gegenseitige Hilfe in der Not.”1) So ist es leicht zu erklären, dass in den Gesellenvereinen von Anfang an auch verschiedene Selbsthilfeeinrichtungen entstanden. Die Bereitschaft zum aktiven Mitwirken in diesen war bei den Gesellen in breitem Maße vorhanden, da sie sich zu Zeiten Kolpings keineswegs als Proletarier verstanden, sondern bestrebt waren, sozialen Aufstieg und damit die volle Eingliederung in die Gesellschaft zu erreichen.2) Während diese Ziele durch berufliche Bildung, durch die Einrichtung von Sparkassen usw. erreicht werden sollten, ergab sich parallel zu solchen Bestrebungen die Notwendigkeit, sich auch im Krankheitsfall oder sonstigen Notfällen stärker abzusichern. So wurden schon sehr früh in den Gesellenvereinen Krankenkassen eingerichtet.

Die am 27. März 1850 beschlossenen Statuten des Katholischen Gesellenvereins zu Köln enthalten in ihrem Anhang auch ein Statut der Krankenunterstützungskasse des Kölner Gesellen-Vereins. Darin heisst es unter § 1: „Jedes Mitglied des Kölner Gesellenvereins ist verpflichtet, der mit dem Vereine verbundenen Krankenkasse beizutreten.“ Weiter heisst es in § 7: „Jedes Mitglied, welches volle 6 Monate, vom Tage der Aufnahme an gerechnet, dem Vereine angehört, hat im Erkrankungsfalle Anspruch auf Unterstützung.“ In den folgenden Paragraphen wird dann in ausführlicher Weise beschrieben, unter welchen Voraussetzungen der Kranke eine Unterstützung erhält und wie er seine Ansprüche geltend machen muss.

Vom Verein selbst wurden Krankenpfleger gewählt. Über die Aufgabe der Krankenpfleger heisst es in § 22:„Die Krankenpfleger sind verpflichtet, den ihnen gemeldeten Kranken binnen 24 Stunden nach der Meldung aufzusuchen, sich über die Krankheit und den Grad derselben möglichst genau zu unterrichten, nötigenfalls den betreffenden Arzt zu Rate zu ziehen, wie überhaupt mit der Sorge um den Kranken auch dessen Überwachung wahrzunehmen.“ Da die Krankenunterstützungskasse von eigenen Vorstandsmitgliedern ehrenamtlich geführt wurde, konnte sie ohne großen Verwaltungsaufwand den angeschlossenen Mitgliedern im Krankheitsfall eine gesicherte Unterstützung gewähren.

Dieses Beispiel der Krankenunterstützungskasse des Kölner Gesellenvereins blieb nicht ohne Wirkung auf die anderen Gesellenvereine. So war die Krankenunterstützungskasse auch ein Beratungsgegenstand auf der 4. Generalversammlung des Gesamtverbandes am 8. 10. 1854 in Köln, wo beschlossen wurde, dass die bestehenden Gesellenvereine nur die Pflege der wandernden Mitglieder im Erkrankungsfalls als Pflicht übernehmen, welche 6 Monate dem Verein angehören.3)

Einen wesentlichen Anstoß zur Gründung von Krankenkassen in den Gesellenvereinen gab die Generalversammlung am 22. Januar 1870 in Köln. Im Rahmen der Beratungen über die Stellung des Gesellenvereins zur sozialen Bewegung wurde auch die folgende Resolution verabschiedet: „Die General-Versammlung empfiehlt dringend die Gründung von Kranken- und Altersversorgungskassen arbeitsunfähig gewordener Gesellen, überhaupt bittet sie, der materiellen Lage der Vereinsmitglieder die größte Sorgfalt zuzuwenden durch Zuhilfenahme der im Assoziationswesen als erprobt anerkannten Mittel.“4) Dieser neue Anstoß blieb nicht ohne Wirkung. In verschiedenen Gesellenvereinen wurden im Anschluss daran Krankenkassen eingerichtet. So heisst es in der Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum des Gesellenvereins Freiburg 1902: „In dieser Zeit stoßen wir auf die bescheidenen Anfänge einer Krankenkasse für die Gesellen.

Es scheint, dass die Generalversammlung der Präsides zu Köln am 22. Juni 1870 die Gründung angeregt hatte. Den Mitgliedern sollte für die Zeit der Erkrankung eine dem ‚Stande der Kasse entsprechende‘ Unterstützung zuteil werden. Mit Zustimmung der Mitglieder wurde daher der Monatsbeitrag von 12 auf 15 Kreuzer erhöht.“5)

 

2. Weitere Entwicklung

Ein neuer Anstoß zur Weiterentwicklung der Krankenkassen innerhalb der katholischen Gesellenvereine kam von außerhalb des Verbandes durch das am 15. Juni 1883 verabschiedete Krankenversicherungsgesetz, das erstmals eine Krankenversicherungspflicht einführte für alle Personen, welche gegen Gehalt oder Lohn beschäftigt sind 1. in Fabriken, 2. im Handwerk und 2. in allen Betrieben, in denen Dampfkessel zum Einsatz kommen. Dies Gesetz hatte zur Folge, dass auch alle Mitglieder der Gesellenvereine in Deutschland versicherungspflichtig wurden und die

Gesellenvereine somit vor der Frage standen, ob sie ihren Mitgliedern empfehlen sollten, sich den obrigkeitlich organisierten Zwangskassen wie Gemeindeversicherung und Ortskrankenkassen, den Fabrikkrankenkassen oder den gesetzlich ebenfalls vorgesehenen Innungskassen und freien Hilfskassen anzuschließen. Da Fabrikkrankenkassen nur in Betrieben mit mindestens 50 versicherungspflichtigen Gesellen errichtet werden durften, blieb diese Wahlmöglichkeit außerhalb der Möglichkeiten der Mehrzahl der Mitglieder der Gesellenvereine. Auch die Innungskassen bestanden nur an sehr wenigen Orten, und so blieb für die Mitglieder der Gesellenvereine eigentlich nur die Wahlmöglichkeit zwischen den Ortskrankenkassen und den freien Hilfskassen.6) Freie Hilfskassen im Sinne des Krankenversicherungsgesetzes von 1883 waren jedoch auch die Krankenkassen innerhalb der Gesellenvereine. In einem Artikel in den Mitteilungen für Präsides von 1884 mit dem Titel „Der katholische Gesellenverein und das neue Krankenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883“ setzt sich der Autor intensiv mit dieser Frage auseinander. Sehr eindringlich werden in diesem Artikel die Vereinsvorstände aufgefordert, innerhalb der Gesellenvereine Krankenkassen einzurichten und nicht ihren Mitgliedern die Mitgliedschaft in den Ortskrankenkassen zu empfehlen. Diese Aufforderung wird folgendermaßen

begründet: „Bei dem berechtigten Zuge nach Freiheit und bei der natürlichen Abneigung gegen jeden Zwang sehen wir voraus, dass der größte Teil der Vereinsmitglieder eine freie Kasse der staatlichen und kommunalen Zwangskasse vorziehen wird.“7) Selbst dann, wenn durch das Entstehen einer Krankenkasse im Gesellenverein der Bestand einer Ortskrankenkassen gefährdet würde, soll dies kein Hindernis für die Gründung von Krankenkassen im Gesellenverein sein: „Der Gesellenverein hat kein Interesse am Bestehen resp. Fortbestehen einer Ortskrankenkasse, wenn er sich selbst helfen kann; ein Gemeindevorstand kann es nur begrüßen, wenn die versicherungspflichtigen Ortsangehörigen sich selbst zu helfen suchen; auch der Staat wird nichts dagegen haben, denn früher ist es in einem Ministerialreskript ausdrücklich angesprochen worden, und dieselbe Tendenz ist, wenn auch abgeschwächt, im neuen Reichsgesetz zu erkennen, dass in erster Linie die aus freier Selbsthilfe entstehenden selbständigen Kassen zu begünstigen seien und erst, soweit diese dem Bedürfnis nicht genügend entgegenkommen, die behördlich organisierten eintreten sollen.“8) Deutlicher kann kaum auf den Gedanken der Subsidiarität und den Vorrang der Selbsthilfe vor der organisierten Hilfe des Staates hingewiesen werden. Wie sehr diese Überlegungen in den Gesellenvereinen aufgegriffen wurden, zeigt ein Zitat in der Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum des Gesellenvereins Freiburg von 1902, wo es heisst: „Das Krankenkassengesetz hatte den Gesellenverein vor die Entscheidung gestellt, entweder die eigene Krankenunterstützung fallen zu lassen und in eine staatliche Zwangsversicherung einzumünden oder die vom Gesetz offen gelassene Möglichkeit der Gründung einer freien Hilfskasse aufzugreifen. Man entschied sich für die letztere Form.

Man wollte aus erzieherischen Gründen dem Gesellen nach Möglichkeit die selbständige Regelung seiner Interessen belassen.“9) Zur weiteren Begründung für die Notwendigkeit der Gründung von eigenen Krankenkassen in den Gesellenvereinen wurde auch auf die größere Möglichkeit zur individuellen und den ganzen Menschen umfassende Hilfe hingewiesen, wenn es heisst: „Der Gesellenverein erledigt schon an und für sich manche Aufgabe, die zur Krankenpflege im weiteren Sinne gehört. Hierzu zählen wir den fleissigen Besuch des Kranken, die Unterstützung des Rekonvaleszenten, Begräbnis und Sterbemesse für einen Verstorbenen usw. Sind die Mitglieder der Ortskrankenkasse zugeteilt, so ist die Krankenpflege nach zwei verschiedenen Prinzipien geteilt: hier freiwillige Krankenpflege im christlichen Sinne, dort staatlich erzwungene nach bürokratischer Schablone.“10)

 

3. Zentralisierungsbestrebungen

Bei allen Chancen und besonderen Möglichkeiten der einzelnen Gesellenvereins-Krankenkassen wurde jedoch nicht übersehen, dass die Beschränkung der Versicherungsleistungen dieser Kassen auf die Mitglieder des örtlichen Gesellenvereins gerade für wandernde Gesellen ein Problem darstellte. Die von den sozialdemokratisch bestimmten Fachvereinen gegründeten Krankenkassen waren dagegen Zentralkassen, die damit bei Einhaltung bestimmter Regeln auch den wandernden Mitgliedern eine Unterstützung im Krankheitsfall gewährten. Auch die Krankenkassen der Gesellenvereine bekamen die Konkurrenz dieser zentralisierten Krankenkassen zu spüren, und so ist es nur zu verständlich, wenn auf die Notwendigkeit eines wie auch immer ausgestalteten organisatorischen Zusammenschlusses der Gesellenvereins-Krankenkassen hingewiesen wird. „Wenn nun in Erwägung dieser oder anderer Gründe Gesellenvereins-Krankenkassen entstehen, so ist es notwendig, noch einen Schritt weiter zu gehen, um diesen Kassen mehr Halt zu geben und die Vorteile derselben für die Mitglieder zu erhöhen. Entstehen diese Kassen überall oder doch in vielen Vereinen, so ließe sich ein Verband bilden, der es ermöglicht, dass der am Ort arbeitslos werdende oder abreisende Geselle die Mitgliedschaft bei der Krankenkasse nicht verliert.11)

Auf der Generalversammlung 1884 wurde die Frage der Krankenkassen noch einmal sehr ausführlich beraten und die folgenden Beschlüsse gefasst: „1. Die sämtlichen Präsides der katholischen Gesellenvereine im Deutschen Reiche sollen womöglich noch vor Ablauf dieses Jahres darauf denken, für ihren Verein eine Krankenkasse zu bilden. 2. Die Diözesanpräsides sollen in möglichst kurzer Frist die Präsides ihres Bezirks um sich versammeln, um über den Anschluss der kleineren Vereine an einen oder mehrerer größere bezüglich der Errichtung von Krankenkassen zu beraten. 3. Die Präsides in den außerdeutschen Ländern sollen nach ihren Verhältnissen in ihren Vereinen ebensolche Kassen gründen.“12)

Dieser Beschluss der Generalversammlung von 1884 führte zwar zur Gründung von neuen Krankenkassen in verschiedenen Gesellenvereinen, doch gelang es auch in den kommenden Jahren nicht, eine Zentralkrankenkasse zu gründen. Auf ihr Fehlen wies denn auch Philipp Schlick, der Präses des Kölner Gesellenvereins, in seinem Aufsatz „Des Gesellenvereins Sorgen und Aufgaben“ hin, der 1892 veröffentlicht wurde. Dort heisst es: „Für unsere Hilfskassen erlöschen alle Rechte der Mitglieder in dem Augenblick, wo dieselben den Sitz der Kasse verlassen. Findet der Wanderbursch nicht gleich Arbeit und wird krank, so hat weder die Ortskrankenkasse noch die Hilfskasse des Gesellenvereins Erbarmen mit ihm … Er verfällt rettungslos der Ortsarmenverwaltung.“13)

Dieser Aufsatz von Präses Philipp Schlick mit seinen zahlreichen Anregungen führte zwar zu intensiven Diskussionen innerhalb des Verbandes, und einige der dort gemachten Anregungen wurden in den Gesellenvereinen auch eingesetzt, sein Vorschlag zur Gründung einer Zentralkrankenkasse blieb jedoch noch bis zum Jahre 1909 ohne konkretes Ergebnis.

Wie notwendig eine Zentralkrankenkasse gewesen wäre, zeigt vielleicht eine Übersicht über die Zahl der Krankenkassen in den Gesellenvereinen.

 

Erzdiözese Köln 56 Vereine mit 39 Krankenkassen

Diözese Trier 31 Vereine mit 4 Krankenkassen

Diözese Münster 53 Vereine mit 30 Krankenkassen

Diözese Paderborn 49 Vereine mit 22 Krankenkassen

Diözese Hildesheim 6 Vereine mit 3 Krankenkassen

Diözese Osnabrück 12 Vereine mit 2 Krankenkassen

Diözese Limburg 16 Vereine mit 5 Krankenkassen

Diözese Culm 4 Vereine mit 1 Krankenkassen

Diözese Freiburg 45 Vereine mit 4 Krankenkassen

Nordische Missionen 7 Vereine mit 3 Krankenkassen

Königreich Sachsen 10 Vereine mit 6 Krankenkassen

Königreich Württemberg 33 Vereine mit 10 Krankenkassen

Großherzogtum Hessen 6 Vereine mit 5 Krankenkassen

 

Diese Aufstellung zeigt, dass in mehr als einem Drittel der Gesellenvereine Krankenkassen existierten und ein Zusammenschluss daher durchaus sinnvoll und möglich gewesen wäre. Wenn man nach den Gründen fragt, warum dieser Zusammenschluss nicht zustande kam, muss wohl vor allem darauf hingewiesen werden, dass der katholische Gesellenverein eigentlich keine leistungsfähige Zentrale besaß. „Verbandszentrale“ war allein der jeweilige Nachfolger Adolph Kolpings, der aufgrund seiner vielfältigen Verpflichtungen aber wohl kaum in der Lage war, eine solche Aufgabe auch organisatorisch zu bewältigen. So ist es nicht verwunderlich, dass nach der intensiven Diskussion im Anschluss an den Aufsatz von Präses Schlick noch einmal mehr als 10 Jahre vergehen mussten, bis die Pläne im Hinblick auf eine Zentralkrankenkasse realisiert werden konnten. Die Gründung dieser zentralen Krankenkasse geschah dann auch mehr unter dem Druck der wachsenden Probleme, denen die Krankenkassen innerhalb der Gesellenvereine ausgesetzt waren. So wird im Protokoll der Konferenz des Generalrates der katholischen Gesellenvereine vom 26. August 1909 berichtet: „Die Krankenkassenfrage ist in unseren Gesellenvereinen, wie der Vorsitzende ausführt, in der letzten Zeit immer dringlicher geworden. Die bestehenden Kassen haben, z.T. infolge Fehlens jeglicher Zentralisation, mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen; von der Begründung neuer Kassen, für die in manchen Vereinen ein dringendes Bedürfnis vorliegt, musste bisher aus Mangel an einer soliden gesetzlichen Grundlage fast stets abgeraten werden; andererseits ist aber die Hoffnung auf das baldige Zustandekommen des schon vor mehreren Jahren dem Reichstage vorgelegten Hilfskassengesetzes immer schwächer geworden. Unter diesen Umständen hat sich die Zentrale trotz anfänglicher Bedenken entschlossen, die Begründung einer soliden, dem kaiserlichen Aufsichtsamt für Privatversicherungen zu Berlin zu unterstellenden ‚Zentral-Krankengeldzuschusskasse‘ zu versuchen, um dadurch wenigstens einem Teile der in den Gesellenvereinen bestehenden Krankenkassen zu Hilfe zu kommen und die Neugründung von Krankenkassen in einer für Gesellen und Meister gleichmäßig geeigneten Form zu ermöglichen.“15)

 

4. Zentral-Krankenkasse

Es ist sicher nicht zufällig, dass dieser Zusammenschluss der Krankenkassen der Gesellenvereine auf zentraler Ebene erst zustande kam, nachdem dem Generalpräses als Nachfolger Kolpings ein hauptamtlicher Mitarbeiter an die Seite gestellt wurde. Seit dem 1. Oktober 1902 arbeitete der ehemalige Senior des Kölner Gesellenvereins, Carl Katzer, hauptamtlich im neu geschaffenen Generalsekretariat des Gesellenvereins. Noch vor Gründung einer Krankenkasse auf Zentralebene war 1904 eine Zentralsterbekasse gegründet worden. Auch dies ein deutliches Zeichen dafür, dass mit der Einrichtung eines Generalsekretariates und der Anstellung eines hauptamtlichen Mitarbeiters erst die Voraussetzungen zur Organisation und zum Aufbau solcher zentralen Einrichtungen geschaffen wurden.

Im Kolpingblatt Nr. 25 aus dem Jahre 1908 wird die Gründung der Zentral-Krankenkassen dann offiziell angekündigt. Dort heisst es: „Eine Zentral-Krankenkasse der kath. Gesellenvereine soll, falls sich eine genügende Anzahl von Vereinen mit einer entsprechenden Beteiligungsziffer meldet, demnächst ins Leben treten.“16)

Am 10. September 1909 konnte dann nach langwierigen Vorarbeiten die Zentralkrankenkasse im Gesellenhospitium in Köln gegründet werden. Die Zentralkrankengeldzuschusskasse führte den Namen „St.-Josephs-Krankenunterstützungskasse katholischer Gesellenvereine“.17)

Nach ihrer Gründung konnte diese Kasse eine erfreuliche Entwicklung verzeichnen, bis sie dann 1937 wegen der politischen Verhältnisse in eine Privatversicherung überführt werden musste.18)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Idee einer Krankenkasse innerhalb der Kolpingsfamilien nicht wieder neu aufgegriffen.

 

5. Krankenkassen im Schweizer Kolpingwerk

Eine andere Entwicklung nahm die Krankenkasse innerhalb des Kolpingwerkes Schweizer Zentralverband. Auch die Schweizer Gesellenvereine erhielten ihre ersten Anregungen zur Gründung von Krankenkassen von der Generalversammilung der Präsides 1884 in Köln, die ja u. a. beschlossen hatte: „Die Präsides der außerdeutschen Länder sollen ihren Verhältnissen entsprechend Krankenkassen gründen.“19)

Bereits am 15. April 1885 fasste daraufhin die Zentralkonferenz der kath. Gesellenvereine der Schweiz in Einsiedeln den Beschluss:

„1. Jeder Verein soll eine Krankenkasse für Verpflegung oder als Hilfskasse für den Ausfall des Arbeitslohnes gründen.

2. Jedes Mitglied der Krankenkasse soll — wenn es einmal unterstützungsberechtigt ist — in einem schweiz. Verein sofort und ohne Frist und ohne (Wieder)-Aufnahme Anspruch in jedem andern schweiz. Gesellenverein haben, in den es mit seinem Wanderbuch ordnungsgemäß zureist.

3. Das Verwaltungskomitee wird beauftragt, dem Krankenunterstützungswesen seine Aufmerksamkeit zu schenken und zweckdienliche Vorschläge an die nächste Konferenz zu bringen.“20)

Dieser Beschluss macht deutlich, dass in der Schweiz schon lange vor einer entsprechenden Regelung in Deutschland für die wandernden Gesellen im Falle der Krankheit eine Absicherung seitens der örtlichen Krankenkassen der Gesellenvereine erreicht wurde, und dass bei der Wanderung keine zusätzlichen Wartezeiten für die Aufnahme in die Krankenkasse des Gesellenvereins nötig waren, in den man zuwanderte.

Im Jahre 1889 legte der Zentralpräses P. Augustin Gmür einen Statutenentwurf für eine Zentralkrankenkasse vor. Dieser Entwurf wurde aber erst im Jahr 1892 in Einsiedeln in einer abgeänderten Form angenommen. Die Zentralkrankenkasse hatte aber ausschließlich die Aufgabe, die Sektionskassen in den Gesellenvereinen, die sich in Finanzschwierigkeiten befanden, mit zinslosen Darlehen zu unterstützen.

In den folgenden Jahren wurden auf den Zentralkonferenzen verschiedene Male Anstrengungen unternommen, um das sehr lockere Organisationsgefüge der Krankenkassen der kath. Gesellenvereine der Schweiz untereinander straffer zu organisieren.

Durch eine gesetzliche Regelung vom 13. Juni 1911 wurde das Krankenkassenwesen in der Schweiz neu geordnet. Die kath. Gesellenvereine legten auf der Zentralkonferenz 1914 in Bern einen neuen Statutenentwurf für eine Kolping-Kranken-Kasse vor, der den gesetzlichen Regelungen von 1911 Rechnung trug und von der Zentralkonferenz auch angenommen wurde. Die Zentralkonferenz 1915 in Zug beschloss dann, ein Gesuch um Anerkennung der Kolping-Kranken-Kasse in Bern zu stellen. Die offizielle Anerkennung der Kolping-Kranken-Kasse erfolgte aber erst am 17. April 1917 mit Rückwirkung auf den 1. Januar 1917.21)

 

Mit der offiziellen Anerkennung erwarb die Kolping-Kranken-Kasse gleichzeitig das Recht auf Bundessubventionen und hatte als zentralisierte Kasse ganz andere Möglichkeiten als die nur locker untereinander verbundenen Krankenkassen der Gesellenvereine vorher. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Kolping-Kranken-Kasse sich von 1917 an planmäßig entwickelte. Die Krankenkasse begann 1917 mit 445 Mitgliedern und zählte Anfang 1981 ca. 13.000 Mitglieder. Mit dieser Mitgliederzahl zählt die Kolping-Kranken-Kasse bis heute zwar zu den kleineren Krankenkassen in der Schweiz, auf der anderen Seite ist sie aber eine der leistungsfähigsten. Dass die Kolping-Kranken-Kasse in der Schweiz bis heute weiter existieren, arbeiten und sich entwickeln konnte, zeigt, dass für den Abbruch dieser Entwicklung in anderen Ländern weithin gesetzliche Maßnahmen und das Verbot durch den Nationalsozialismus verantwortlich gemacht werden müssen

 

Anmerkungen

1) Vgl. Statuten des kath. Gesellenvereins zu Köln. 4. Aufl. 1858

2) Vgl. Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, dtv-Taschenbuch, S. 66

3) Vgl. Hans-Joachim Kracht, Organisation und Bildungsarbeit der katholischen Gesellenvereine (1846— 1864). Wentorf bei Hamburg 1975, S. 56

4) Mitteilungen für die Vorsteher der katholischen Gesellenvereine 1870, Heft 19, Sp. 556

5) Festschrift des Katholischen Gesellenvereins Freiburg 1902, S. 30

6) Vgl. Mitteilungen 1884, Sp. 144 f.

7) ebd. Sp. 146

8) ebd.

9) Festschrift Freiburg 1902, S. 30

10) Mitteilungen 1884, Sp. 149

11) ebd. Sp. 151

12) ebd. Sp. 210 f.

13) Mitteilungen 1892, Sp. 677

14) Mitteilungen 1893, Sp. 799

15) Mitteilungen 1908, Heft 2,S.5

16) Kolpingsblatt 1908, S. 275

17) Vgl. Mitteilungen 1909, Heft 4, S.5

18) Vgl. Handbuch der deutschen Kolpingsfamilie, Köln 1966, S. 52

19) Mitteilungen 1884, Sp. 210 f.

20) Zit. in Kolping, Verbandszeitschrift Schweiz, 50. Jahrgang, Nr. 15/16, S. 130

21) Vgl. ebd. S. 131

KOLPINGWERK IN STAAT UND GESELLSCHAFT

Schriftenreihe des Kolpingwerkes Deutscher Zentralverband

 

Herausgeber: Deutsche Kolpingsfamilie e.V.

 

Redaktion: Michael Hanke

 

Heft 2: Kolping und die Soziale Frage

 

Mitarbeiter: M. Hanke, J. A. Stüttler, H. Tintelott

 

Umschlagentwurf: Hans-W. Becker

 

Druck: Moekerdruck, Köln

 

Kolping-Verlag, Köln, 1981

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN 3-921425-09-3 1981