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Von der Schriftenreihe „Kolpingwerk in Staat und Gesellschaft“ sind 22 Bände erschienen.

Kolping und die soziale Frage: Vorwort und Teil 1

Kolping darf heute als Vorkämpfer für die Lösung der sozialen Frage des vergangenen Jahrhunderts angesehen werden. Sein Eintreten für eine besonders unterprivilegierte Schicht der damaligen Gesellschaft ist beispielhaft. Auszüge aus Band 2 der Schriftenreihe:

Vorwort

Die Katholische Sozialbewegung hat nicht erst vor 90 Jahren mit der Enzykiika Rerum novarum begonnen. Im vorigen Jahrhundert haben sich besonders im deutschsprachigen Raum Geistliche und Laien der Arbeiterfrage zugewandt und versucht, aus dem christlichen Glauben eine Antwort auf die vielfältigen Probleme des arbeitenden Menschen zu geben.

Kolping darf heute als Vorkämpfer für die Lösung der sozialen Frage des vergangenen Jahrhunderts angesehen werden. Sein Eintreten für eine besonders unterprivilegierte Schicht der damaligen Gesellschaft ist beispielhaft für diese Gruppe und zeugt gleichzeitig von der umfassenden Kenntnis des in Not geratenen, isolierten und in Abhängigkeit geratenen Menschen.

Das Kolpingwerk hat in seinen Programmen, namentlich im Paderborner Programm und in den gesellschaftspolitischen Stellungnahmen und Beschlüssen, die zeitgerechte Anwendung der Grundorientierung von Adolph Kolping übernommen. Viele Beispiele der Gegenwart im Bereich der Sozialpolitik und der Entwicklungshilfe zeigen, dass die Mitglieder des Kolpingwerkes diesen Gedanken Adolph Kolpings, sich für den in Not geratenen Menschen einzusetzen, übernommen haben.

Leo XIII. behandelte vor 90 Jahren in seiner Enzyklika Rerum novarum die der damaligen Zeit eigene Problematik. Sie ist auch heute nicht überrollt, wenn wir an den Anspruch und das Recht der Kirche denken, in gesellschaftspolitischen Fragen offen und deutlich zu sprechen. Für unsere heutige Zeit müssen wir aus dem Erbe Leo XIII. und aus der Enzyklika Rerum novarum lernen, offen zu den gegenwärtigen Problemen Stellung zu nehmen und Lösungsvorschläge für die aktuelle Problematik des Menschen zu geben. Dazu gehört besonders die Feststellung, dass wir uns heute von der Übereinstimmung im Grundwerteverständnis weiter auseinanderleben und uns in einer pluralistischen Gesellschaft gegenseitig entfremden.

Das heutige Leitmotiv für Engagierte in der Sozialbewegung muß heißen: Profilierung der Katholischen Soziallehre statt Nivellierung im Interesse einer größeren Annäherung. Wir müssen fertig werden mit dem Mythos des Machbaren und mit einer Verführung namentlich des jungen Menschen durch sogenannte Selbstverwirklichung und Emanzipation. Zu leicht wird der Stab über unsere Jugend gebrochen, wenn sie sich revoltierend Gehör verschafft. Müssen sich die Etablierten nicht fragen, ob sie zu lange und zu nachgiebig in einer bürokratisch verfassten Gesellschaft zwischenmenschliche Hilfe vernachlässigen und sich auf Zuständigkeiten der Bürokratie zurückziehen?

Die Allmacht des Staates wird heute deutlicher denn je. Eine falsche und irreführende Doktrin beherrscht weitgehend das Denken von Gesellschaftsveränderern und Machthabern, die sich einer Ideologie sozialistischen Gesellschaftssystems verpflichtet fühlen. Eine Sozialbewegung, aus christlichem Geist geprägt, muss gegen solche Behauptungen aufstehen, um für Glaubwürdigkeit eines humanen menschlichen Zusammenlebens einzutreten. Das Kolpingwerk fühlt sich diesem Gedanken Leo XIII. verpflichtet, durch Veränderung des Menschen gesellschaftliche Verhältnisse prägend mitzugestalten. Damit stehen wir in der Tradition von Adolph Kolping, der durch Beharrlichkeit und mühevolle Kleinarbeit im engsten Umkreis für ein menschliches Zusammenleben gearbeitet hat. Sein persönliches Zeugnis ist ein Beispiel für die religiössittliche Erneuerung des Menschen in der Gegenwart und erhält neue Ausstrahlungskraft im Verband. Er hat vorgelebt, dass man den einzelnen in der Gemeinschaft befähigen muss, durch solidarische Hilfe sich selbst zu helfen. Diese begleitende Hilfe ist für die Zukunft einer der wesentlichsten Grundsätze im Kolpingwerk.

 

Köln, im April 1981

Dr. Paul Hoffacker Zentralvorsitzender

 

 

I. Adolph Kolping und die soziale Frage

 

1. Die Zeit Kolpings

Die Zeit Adolph Kolpings ist von tiefgreifenden, zum Teil bruchhaften Veränderungen und Wandlungen in allen Lebensbereichen geprägt, in Bedeutung und Konsequenz zwar aus heutiger Sicht gewiss deutlicher zu fassen, für die Betroffenen selbst aber auch in vielfältiger Hinsicht unmittelbar spürbar. Diese Phase markiert ‑ bezogen auf die europäische Soziaigeschichte ‑ den Übergang von der in Jahrhunderten gewachsenen und über Jahrhunderte hinweg nicht wesentlich veränderten ständisch‑agrarischen Gesellschaft zur Industriegesellschaft unserer Tage. Mit dem Zerfall relativ fester Strukturen und mit dem Aufkommen neuer Orientierungen wird der permanente soziale Wandel zum kennzeichnenden Element der Zeit.

Die Befreiung von bzw. Herauslösung des Menschen aus traditionellen Bindungen gehört zu den wesentlichen Erscheinungen der Epoche, wobei die Lockerung traditioneller Bindungen mit wachsender sozialer Mobilität einhergeht. Der Zerfall traditioneller Bindungen ist freilich nicht allein im gesellschaftlichen Raum sichtbar, sondern auch im weitanschaulichen Bereich. Nicht nur erwuchs dem Christentum in zunehmendem Maße weitanschauliche Konkurrenz, vor allem im Liberalismus, später dann zunehmend auch im Sozialismus, zugleich wurde es für den einzelnen leichter, überkommene Bindungen abzulegen und sich entweder neuen Orientierungen zuzuwenden oder aber ganz auf ein wie auch immer geartetes "Bekenntnis" zu verzichten.

Seinen gesellschaftsprägenden Einfluss verlor das Christentum mehr und mehr an den Liberalismus, wie er vom wirtschaftlich tonangebenden und nach entsprechender politischer Bedeutung verlangenden Bürgertum getragen wurde. Liberales Denken stellte das autonome Individuum in den Mittelpunkt seines Denkens und war vom möglichen, ja notwendigen Fortschritt in allen Lebensbereichen überzeugt, vertrauend auf Vernunft und Wissenschaft und die Machbarkeit vernünftiger Verhältnisse. Freiheit als eine der Hauptforderungen dieses Liberalismus wurde wesentlich als freies Spiel der Kräfte verstanden, wie es sich im sozio-ökonomischen Bereich insbesondere in der ungehinderten Entfaltung konkurrierender Kräfte – frei also von staatlichen Regelungen – ausdrücken sollte. Schrankenlose Ausbeutung von Naturschätzen und menschlicher Arbeitskraft war eine entsprechende Folge im Prozeß der von hemmungslosem Konkurrenzkampf geprägten Industrialisierung. Damit wurden zugleich freilich jene vielfältigen Probleme und Konflikte heraufgeführt, die unter dem Stichwort "Soziale Frage" zur beherrschenden Frage des 19. Jh. wurden, d. h. konkret die Verelendung und gesellschaftliche Entwurzelung großer Bevölkerungsgruppen.

Sicherlich brachten die Entwicklungen seit dem ausgehenden 18. Jh. vielen Menschen ein Mehr an Freiheit, einen größeren Freiraum individueller Lebensgestaltung, was auch neue und größere Chancen des Aufstiegs einschloss. Auf der anderen Seite aber wurde diese Freiheit vielfach um einen hohen Preis erworben; oft genug tauschten die Menschen alte Bindungen nur gegen neue, härtere, drückendere Abhängigkeiten ein, wie dies vor allem für das sich herausbildende Industrieproletariat galt, das jeden Rückhalt in fest gefügten sozialen Gebilden verlor und damit auch jeder existentiellen Sicherheit beraubt wurde. In diesem Sinne kann von der Entwurzelung großer Bevölkerungsgruppen gesprochen werden, also vom Verlust eines klar fixierten gesellschaftlichen Standortes, verbunden mit dem Verlust klarer geistiger Orientierungen. Beides findet seinen Ausdruck in verbreiteter Unsicherheit, in der Suche nach neuen Bezügen, im raschen Wandel von Denkweisen und Verhaltensgewohnheiten.

Als Handwerker wie auch als Seelsorger hat Adolph Kolping die tief greifenden Wandlungsprozesse konkret erlebt; oft genug hat er in seinen Schriften die eigene Epoche als "revolutionär" gekennzeichnet. Der tief empfundene Widerspruch zwischen der erlebten Wirklichkeit auf der einen und den eigenen Grundpositionen auf der anderen Seite war es dann auch, der für Kolping zum Ansatzpunkt seines umfassenden sozialreformerischen Wirkens wurde.

 

2. Kolpings Sicht von Mensch und Gesellschaft

 

Menschenbild und Gesellschaftsverständnis Kolpings lassen sich nur auf der Grundlage seiner religiösen Fundierung verstehen und verdeutlichen.

Der Mensch ist Geschöpf Gottes und sowohl mit einer bestimmten Ausstattung wie mit einer bestimmten Aufgabe in diese Welt gestellt. In der Erfüllung seines Auftrages hat der Mensch durch die Ausschöpfung aller seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten (Tüchtigkeit) und durch die Wahrnehmung sozialer Verantwortung, d. h. konkret durch eine am Gebot der Nächstenliebe orientierte Lebensgestaltung, seine über dieses irdische Dasein hinausgehende Bestimmung zu verwirklichen und zugleich an der Vollendung dieser Welt mitzuwirken.

Gesellschaftliches Leben insgesamt und damit auch alle sozialen Gebilde sind auf diese Bestimmung des Menschen hingeordnet bzw. auszurichten. Grundsätzlich ist somit Gesellschaft in allen Aspekten nicht Selbstzweck, sondern auf den Menschen bezogenes "lnstrumentarium", und konsequent kann gesellschaftliches Leben in all seinen Dimensionen nicht ohne Bezug zu den "Grundbefindlichkeiten" des Menschen (d. h. konkret ohne religiösen Bezug) gesehen und gestaltet werden.

Entscheidend ist die "Totalität" des Kolpingschen Ansatzes im Sinne der unbedingten Zusammenschau aller mit dem Begriffspaar "Mensch und Geselischaft" zusammenhängenden Faktoren und ihrer Einbindung in einen religiösen Begründungs- und Sinnzusammenhang. Damit wird jegliches isolierte Angehen einzelner Bereiche unmöglich gemacht und jedes differenzierte Eingehen auf bestimmte Felder notwendig auf die Berücksichtigung größerer Zusammenhänge verwiesen. Die folgende Zusammenstellung einiger zentraler Aussagen Kolpings soll die skizzierten Grundelemente verdeutlichen.

"Die Seele stammt von Gott und ist zur ewigen Glückseligkeit bei Gott bestimmt, das ist die erste Grundwahrheit, auf der das ganze Menschenleben ruht, was ihm allein rechten Sinn und Verstand gibt.“ 1)

"Wohin Gott den Menschen stellt, dort ist sein Beruf, dort gedeiht er am besten, dort soll er seine Kräfte entfalten." 2)

"Das Bild und Gleichnis Gottes im Menschen, was so recht eigentlich sein Wesen konstituiert und bedeutsam angibt, soll durch Bildung zur Ähnlichkeit mit Gott weitergeführt, schärfer, bestimmter ausgeprägt, ja bis zu jener Vollendung emporgehoben werden, die das Bild dem Urbilde gegenüber nur erreichen kann. Ja, werdet vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist. Das ist die göttliche Grundregel aller wahren Bildung. "3)

"Der Mensch ist allerdings zunächst für sich selber, d. h. für seine eigene ewige Bestimmung da, aber er ist durch den Schöpfer in einen so innigen und lebendigen Verkehr mit seinen Mitmenschen gesetzt, er gehört natürlich und wesentlich so sehr der Menschheit an, dass weitaus in der Regel in ihr, im Zusammenhang mit ihr, er seine irdische Aufgabe erfüllen soll. Weit und Menschen gehören ihm an, und er gehört ihnen an. Die gegenseitige Einwirkung soll nicht einmal nicht von der Hand gewiesen werden, sondern ist eine Hauptbedingung des gedeihlichen menschlichen Lebens. Der christgewordene Mensch weiß das nicht bloß, sondern die Forderung, dass er den Mitmenschen, den Nächsten, also denjenigen, weichen er erreichen kann, lieben soll wie sich selbst, soll und muss er als das ergänzende Gesetz der Liebe zu Gott betrachten." 4)

"Der Mensch ist das Ehrwürdigste und Höchste, was in der ganzen sichtbaren Weit gefunden wird." 5)

"Die ganze sittliche Weitordnung ruht auf religiösen Grundpfeilern, die man Glaubenssätze nennen kann. Mit ihnen hängt alles, nur das eine näher, das andere entfernter, zusammen, was Menschen auf dieser Weit nur tun und treiben. Soziales Leben, Politik, Volkswirtschaft und wie alle die Dinge heißen, die bloß irdisch und weltlich aussehen, hängen alle mehr oder minder mitjenen Grundpfeilern zusammen." 6)

"Wie sucht nun das Christentum in der sozialen Weit den Menschen zu stellen? Auf weiches Ziel weist es den Menschen in dieser Weit hin? Vorab betrachtet und behandelt das Christentum den Menschen gar nicht bloß als ein diesseitiges Geschöpf, das seine ganze Aufgabe hienieden habe, sondern als bestimmt für eine andere, bessere Weit. Dort ist das einzig menschenwürdige Ziel, dort seine wahre Heimat. Weil das so ist, sind alte irdischen Dinge und Verhältnisse nur von untergeordneter Bedeutung, nur Mittel zum Zweck und nirgendwo Selbstzweck." 7)

"Gott hat die Weit nicht für einen, sondern für viele Menschen geschaffen, die in Gemeinschaft miteinander leben sollen. Allein kann der einzelne Mensch für die Bedürfnisse seines Lebens nicht sorgen, er hat fremde Hilfe notwendig und muss darum seinesgleichen suchen." 8)

"Der Mensch und sein ganzes Leben, wie es sich auch sozial gestalten mag, ist von Natur aus religiös, weshalb auch alle menschlichen Verhältnisse, sie mögen auch noch so weltlich aussehen, mehr oder minder mit der Religion zusammenhängen und von ihr wirkliche Bedeutung und inneren, wahrhaften Gehalt empfangen." 9)

"Das Christentum ist nicht bloß für die Kirche und für die Betkammern, sondern für das ganze Leben. Es gibt keinen Punkt, keine Seite, kein einziges Verhältnis des Lebens, weiches nicht nach den Grundsätzen des Christentums gerichtet und behandelt werden soll. Der höchste Inbegriff und kürzeste Ausdruck dieser Grundsätze ist das neue Gesetz der Liebe: Liebe Gott über alles und den Nächsten, wie Dich selbst." 10)

 

3. Kolpings Zeitkritik

 

Die massive Unzufriedenheit Kolpings mit den tatsächlichen Verhältnissen seiner Zeit kann nach dem bisher Gesagten nicht überraschen. Ebensowenig verwunderlich ist es, wenn er den eigentlichen Kern der sozialen Frage seiner Zeit in der zunehmenden Abkehr der Menschen vom Christentum sieht, das Ringen zwischen Christentum und Antichristentum um geistige Vorherrschaft als Schicksalsfrage der Gegenwart bezeichnet und letztlich nur vom Christentum her Möglichkeiten sieht, die bestehenden Verhältnisse wirklich dauerhaft zu verbessern. Auch hierzu einige wesentliche Aussagen.

"Das ist das große Unglück in der Weit, in allen verkehrt gewordenen Verhältnissen, dass die Menschen sich nicht um das kümmem, was Gott aus ihnen gemacht hat und wozu sie von Gott bestimmt sind, sondern alles richten wollen nach ihrem kranken Sinne, nach ihrer Klugheit, nach ihren verkehrten Herzenswünschen. Deswegen geht alles quer, weil es immer aus seiner rechten, von Gott gesetzten Ordnung weicht.“ 11)

"Der allgemeine Zug der Gesellschaft fährt auf recht breiter Fahrstraße immer mehr aus der Übung des Christentums hinaus, das ist das Ergebnis der Trennung der Religion von allen sogenannten bloß irdischen Fragen. Das ist die große allgemeine Versündigung an der Gesellschaft, und diese Versündigung hat uns das große soziale Elend bereitet." 12)

"Wir sind offenbar in der Weit da angekommen, wo der Streit sich eigentlich doch nur darum dreht, ob die christliche Weit mit ihrer Wahrheit, ihrem Recht und ihren Pflichten soll gültig bleiben oder ob die unchristliche Welt Meister wird." 13)

"Die Gegensätze, weiche die Welt radikal zu bewegen anfangen, bestehen zwischen Christentum und Glauben und Nichtchristentum und Unglauben." 14)

"Es wird darauf ankommen, das Christentum dem Geiste und der Praxis nach ins wirkliche gesellschaftliche Leben hineinzutragen." 15)

"Nur die Rückkehr zum Christentum, nur die unbedingte Anerkennung der Herrschaft des väterlichen Weiterlösers kann wieder Ruhe, Ordnung, Freiheit und Zufriedenheit im Menschen und unter den Menschen erzeugen.“ 16)

"Auf unser tätiges Christentum kommt es an, ob die Weit zu christlicher Ordnung zurückkehrt. Nur dürfen wir dieses tätige Christentum nicht zwischen Kirchenmauern und Krankenstuben allein oder in unseren nächsten häuslichen Kreis einschließen wollen, sondern wir müssen es frisch und wohlgemut ins bürgerliche Leben hinaustragen." 17)

"Die Weit kann alles entbehren, was menschlicher Verstand ausgeklügelt und noch immer bestehen, ... aber eines kann die Weit nie entbehren, ist ihr heute mehr als je Bedürfnis geworden, auch selbst, wo sie die Sache nicht einmal zu nennen weiß. Das ist der Glaube, der in der Liebe tätig ist. Diese Liebe ist, seit das Christentum auf der Weit ist, das Universalheilmittel für alle Schäden und Gebrechen in der menschlichen Gesellschaft." 18)

Kolpings Zeitkritik erschöpft sich keineswegs in pauschalen Formulierungen, sondern geht durchaus ins Detail. Verständlicherweise nehmen dabei – vom Wirken für das Handwerk her – Fragen des Arbeitslebens einen wichtigen Raum ein, und zwar von der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit Sinn und Aufgabe menschlicher Arbeit bis hin zur Neuordnung der Selbstverwaltung im Handwerk, ja bis zur Beschäftigung mit der für viele kleinere Handwerksbetriebe ruinösen Zahlungsmoral ihrer Kunden. Darüber hinaus freilich werden – besonders im Politischen Tagebuch der Rheinischen Volksblätter – die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen in aller Weit immer wieder einer kritischen Analyse unterzogen und werden besonders bestimmte "Auswüchse des Zeitgeistes" immer wieder heftig attackiert. Dazu gehören z. B. die als "heillose Gesetzesmacherei" qualifizierten Bemühungen, dem sozialen Leben durch Gesetze und Verordnungen jene Ordnungselemente neu zu vermitteln, die früher durch Wirken und Zusammenspiel vielfältigster Sozialgebilde mehr oder weniger selbstverständlich vorhanden waren. Mit allem Nachdruck wendet sich Kolping immer wieder gegen die Auffassung, die Fülle und Tiefe des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens in festen Regelungen "einfangen" bzw. von oben her "dekretieren" zu können.

"Nichts ist im gesellschaftlichen Leben unverständiger und haltloser als jene Gesetzesmacherei, die nach irgend einem voreingenommenen Plan, nach einer individuellen Lebensanschauung, nach abstrakten Theorien, oft nach Grillen, an den zerfahrenen Lebensverhältnissen modeln, richten, meistern und regieren will, nichts verderblicher als jene Wut zu reformieren, von der unsere Zeit, wie vielleicht keine ähnliche je dagewesen, wie besessen ist. Diese Krankheit der Zeit hat die allerdings kranken Zustände im öffentlichen Leben ungleich schlimmer gemacht, als sie wirklich waren, und scheint sie einer völlig verzweifelten Krise entgegenzuführen. Wir werden totgemacht durch lauter Gesetze und Verordnungen, die sich wie Schmarotzerpflanzen um unser Leben bis in seine unbedeutendsten Regungen schlingen und verketten, dadurch dem wirklichen Leben Luft und Licht rauben, es verkümmem und ersticken." 19)

"Wer meint, man könne das praktische Leben unter ein gewöhnliches Rechenexempel bringen, der versteht vom wirklichen Leben nichts, stößt überall auf unvorhergesehene Hindernisse, sieht sein bestes Meinen jeden Augenblick durchkreuzt und richtet, statt Segen zu verbreiten, nur Unglück und Verwirrung an, wenn er versucht, mit Gewalt seine einseitige Theorie dem praktischen Leben anzupressen." 20)

"Ja, der rechte Geist, das ist und bleibt die Hauptsache. Wo er fehlt, bleibt alles ein kaltes und totes Gerüst, in dem sich niemand heimisch und wohnlich fühlt. Der rechte Geist lässt sich aber nicht dekretieren, mit Gesetzesparagraphen herbeizitieren, er lässt sich überhaupt nicht machen. Der Geist wird geschaffen, und Schöpfer auch der Geister, namentlich des rechten Geistes, ist und bleibt allein unser Herrgott im Himmel." 21)

 

4. Sozialer Wandel durch Veränderung des Menschen

 

Als Lehrling und Geselle im Schuhmacherhandwerk hat Adolph Kolping 10 Jahre lang ganz unmittelbar Situation und Probleme einer großen Gruppe der werktätigen Bevölkerung seiner Zeit erlebt, und zwar insbesondere die Sorgen und Nöte der wandernden Gesellen. In dem 1846 in Elberteld entstandenen Katholischen Gesellenverein fand der Priester Kolping dann seine Lebensaufgabe, der er sich fortan mit allen Kräften widmete. Zielgruppe dieses Gesellenvereins waren ledige männliche Handwerksgesellen, wobei es zunächst ganz unmittelbar darum ging, jungen Menschen in bedrängter Situation konkrete Hilfestellung zu leisten. Diese Hilfestellung – stets als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht und konzipiert – sollte diejenigen, die sich dem Verein anschlossen und damit ihre Bereitschaft bekundeten, an sich zu arbeiten, in die Lage versetzen, etwas aus sich zu machen. Für Kolping ging es hier wesentlich um die persönliche Tüchtigkeit des einzelnen. Die Bestimmung des Menschen als Geschöpf Gottes schließt in Kolpings Sicht die Notwendigkeit für jeden ein, den ihm von seinem Schöpfer zugewiesenen Platz nach besten Kräften auszufüllen, und zwar in umfassender Weise, im Beruf, in der Familie, wie im allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Leben. Tüchtigkeit in diesen Lebensbereichen aber war für Kolping nicht trennbar vom tüchtigen Christsein; er sah dessen wesentliche Voraussetzung in der Tüchtigkeit in den verschiedenen Lebensbereichen. Immer wieder hat er im übrigen betont, dass es gerade für den jungen Menschen nichts Wichtigeres gebe als den Aufbau eines Lebensplanes, die feste geistige Fundierung des eigenen Wollens und Handelns.

Auf dem Wege zur persönlichen Tüchtigkeit sollte und wollte der Gesellenverein Hilfestellung leisten, wobei es vor allem darum ging, dem jungen Menschen dreierlei anzubieten: Zum ersten einen Lebensraum, der – in materieller wie ideeller Hinsicht – eine Alternative zu Wirtshaus und Herberge darstellte, zum zweiten ein Lernfeld für den angemessenen Umgang mit anderen Menschen, ein Feld also, wo Gemeinschaft und Solidarität erfahren, erlebt, geübt und gelebt werden konnten. Zum dritten unmittelbare Hilfestellung in der allgemeinen wie berufsbezogenen Bildung und Weiterbildung. Diese Schwerpunkte kamen in der Konzeption und Arbeit des Katholischen Gesellenvereins mit dem dazugehörigen Haus zum tragen: Dieses Haus bot die konkrete Heimstatt, das familienhafte Miteinander im Verein war umfassende Lebensschule, der Unterricht bot entsprechende Hilfen. Alle diese Arbeitsfelder des Gesellenvereins waren nicht nur durch die grundlegende religiöse Fundierung miteinander verbunden, in engster Verzahnung stellten sie untrennbare Bausteine eines ganzheitlichen Bemühens dar, junge Menschen in umfassender Weise anzuregen und zu befähigen, die gegebenen Chancen für das eigene Wohl wie auch für die Übernahme von Verantwortung für den anderen wahrzunehmen.

 

Wenn Kolping sich besonders dem Gesellenstand zuwandte, so vor allem deshalb, weil die Gesellen zumindest die Chance besaßen, zu einem späteren Zeitpunkt dank der erworbenen Tüchtigkeit zur beruflichen Meisterschaft und dann auch zur wirtschaftlichen Selbständigkeit zu gelangen und dadurch Zugang zu jenem bürgerlichen Mittelstand zu finden, der in dieser Zeit und in dieser Gesellschaft eine tonangebende Rolle spielte. Die Handwerksgesellen waren folglich eine Zielgruppe, der in der Sicht Kolpings eine besondere gesellschaftsprägende Bedeutung zukam bzw. zukommen konnte, sofern das Bemühen um sie erfolgreich war, wie es sich der Gesellenverein zur Aufgabe machte. Hier kommt das grundlegende Ziel in den Blick, das Kolping mit seinem ganzen Wirken verfolgte, nämlich die Veränderung, d. h. Verbesserung der als unbefriedigend empfundenen Wirklichkeit der eigenen Zeit. Die besseren Zeiten, so die Konsequenz aus dem grundlegenden Ansatz Kolpings, konnte nur das praktische Christentum herbeiführen, d. h. konkret das Handeln tüchtiger Christen. Sozialer Wandel durch Veränderung des Menschen – mit dieser Formel lässt sich Kolpings Anliegen zusammenfassend kennzeichnen. Ihm ging es nicht um den revolutionären Umsturz aller bestehenden Verhältnisse, da er darin noch keine Gewähr für eine wirkliche Neuorientierung im Wollen und Handeln der Menschen sehen konnte, wie sie in seiner Sicht aber das einzig tragfähige Fundament eines wirklich angemessenen, d. h. auch zur Verbesserung führenden sozialen Wandels war. Die Welt wäre besser, so drückte es Kolping aus, wenn die Menschen bessere Christen wären.

Das hier skizzierte Anliegen Kolpings war nicht allein Orientierungsrahmen für sein Wirken im und für den Katholischen Gesellenverein. Auch das umfassende Wirken des Publizisten und Volksschriftstellers Kolping ist in dieser Zielsetzung zu sehen. Kolping ließ, anders ausgedrückt, keine der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ungenutzt, um seinem "Publikum" immer wieder die eigenen Positionen nahezubringen: Der Mensch selbst – jeder in seinem Bereich – trägt die entscheidende Verantwortung für Situation und Entwicklung seines – in umfassender Weise verstandenen – Lebensumfeldes. Dieser Verantwortung kann man sich nicht entziehen, weder mit dem Hinweis auf Versagen oder Fehlverhalten anderer Menschen noch mit dem Verweis auf irgendwelche übergeordnete Zuständigkeiten. Die rechte Ordnung menschlichen Zusammenlebens ist nicht machbar oder verfügbar; sie kann nicht von oben her durchgesetzt werden, sondern muss von unten her wachsen, und zwar als Produkt eines angemessenen und dies heißt für Kolping immer religiös begründeten Handelns des einzelnen.

 

5. Adolph Kolping als Sozialreformer

 

An Versuchen zur schlagwortartigen "Etikettierung" Kolpings hat es bislang nicht gefehlt, wobei nicht selten Auseinandersetzungen über die Frage geführt wurden, ob und inwieweit es gestattet sei, Kolping als Sozialreformer und/oder Sozialpolitiker usw. zu kennzeichnen. Ebensowenig fehlt und fehlte es an Versuchen, das Wollen und Handeln Kolpings in Zusammenhang mit anderen Ansätzen zu bringen bzw. – typisch etwa in der Gegenüberstellung von Kolping und Marx – von solchen anderen Ansätzen abzuheben. Dazu ist zunächst nur anzumerken, dass Kolping selbst seine Vorstellungen nirgendwo zusammenhängend dargelegt hat, dass vielmehr das im hier angesprochenen Zusammenhang wichtige Gedankengut Kolpings nur aus der Gesamtheit seiner schriftlichen Hinterlassenschaft sich erschließen lässt, wo natürlich der subjektiven Interpretation breiter Raum gegeben ist. Des weiteren ist darauf hinzuweisen, dass Kolping nirgendwo Auskunft über die "Herkunft" seiner grundlegenden Positionen gibt und auch nur in sehr begrenztem Maße in seinen Schriften auf andere sozialreformerische Konzeption seiner Zeit eingeht. Einflüsse, Zusammenhänge und Abgrenzungen sind deshalb nur in sehr zurückhaltender Interpretation aufzuweisen, was beispielhaft mit dem einzigen Hinweis verdeutlicht werden kann, dass sich im gesamten Schrifttum Kolpings nicht ein einziges Mal der Name Karl Marx findet.

Der Kolpingsche Ansatz, wie er hier mit dem Stichwort "Sozialer Wandel durch Veränderung des Menschen" umrissen wurde, ist in seinen Grundelementen der inhaltlichen Ausformung gewiss weder neu noch einzigartig. Im Kern geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Grundmomente einer christlichen Sicht von Mensch und Gesellschaft mit den sich daraus ergebenden wesentlichen Konsequenzen für das Handeln des einzelnen in Gemeinschaft. So gesehen steckt im Gedankengut Kolpings vieles von dem, was in der Kirche zwar immer schon "vorhanden" war, durch die nähere Ausfaltung der Katholischen Soziallehre aber erst später in umfassender Form abgehandelt wurde. Das im Hinblick auf das Kolpingsche Wollen und Handeln eigentlich Neue und Einzigartige ist die unmittelbare Verzahnung von Theorie und Praxis. Kolping hat sich nicht mit der Formulierung von Zielsetzungen begnügt, sondern durch den Katholischen Gesellenverein, eine konkrete Organisationsform gemeinschaftlichen Lebens und Handelns in der Kirche und in der Gesellschaft, den eigenen Vorstellungen gewissermaßen zum praktischen Leben verholfen, sie zu unmittelbarer und gewiss erfolgreicher Wirkung gelangen lassen.

Ohne Zweifel ist Adolph Kolpings Wollen und Handeln auf Sozialreform hin angelegt, Adolph Kolping selbst war also Sozialreformer. Sein grundlegendes Ziel war ja die Veränderung einer als unbefriedigend, als dem Menschen und seiner Bestimmung nicht angemessenen Wirklichkeit, und zwar in allen Bereichen. Das, was Kolping von anderen Sozialreformern seiner Zeit unterscheidet, ist weniger die Zielsetzung als solche (sozialer Wandel), als vielmehr die Konzeption der Zielverwirklichung. In dieser Zeit (und eigentlich bis heute) stehen sich insbesondere zwei Ansätze gegenüber: Gesinnungsreform einerseits, Zuständereform andererseits. Beides schließt sich wechselseitig nicht völlig aus, entscheidend ist aber die Gewichtung, ist die Frage, wo der primäre Akzent gesetzt wird.

Gesinnungsreform zielt vor allem ab auf die Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen der Menschen, und zwar insbesondere durch Erziehung und Bildung. Solche Veränderungen, so wird unterstellt, können nicht ohne Auswirkungen auf die sozialen Verhältnisse insgesamt bleiben, sozialer Wandel ist in dieser Vorstellung Folge bzw. Erfolg zielgerichteter pädagogischer Bemühungen. Grundlegende Veränderungen sind bei einem solchen Ansatz natürlich nur in langfristigen Zeiträumen denkbar, wobei aber davon ausgegangen wird, dass das "Neue" auch wirklich dauerhaft ist. Zuständereform zielt demgegenüber primär ab auf die Veränderung sozialer Strukturen, sei es "von oben" durch politisches Handeln, sei es "von unten" durch revolutionären Umsturz. Im Blick auf die Verwirklichung angestrebter Ziele sind hier natürlich kürzere Zeiträume vorstellbar. Sozialer Wandel ist demnach Produkt zielgerichteten Handelns, wie es zunächst durchaus von einer Minderheit ausgehen kann oder sogar muss. Für den Verfechter der Zuständereform weist die Gesinnungsreform insbesondere folgende Nachteile bzw. Mängel auf: Auf die Veränderung bzw. Verbesserung der bestehenden Verhältnisse muss zu lange "gewartet" werden, noch dazu mit unsicheren Erfolgschancen; der einzelne ist gar nicht in der Lage, die erforderlichen Änderungen zu vollziehen, wenn nicht durch strukturelle Veränderungen vorab die entsprechenden "Startbedingungen" geschaffen werden; die besondere Betonung individueller Verantwortung überfordert den einzelnen und kann als "Alibi" für den Verzicht auf erforderliche Reformen missbraucht werden. Auf der Gegenseite werden insbesondere folgende Einwände erhoben: Die Zuständereform wird der Vielfalt und Fülle des menschlichen Lebens nicht gerecht, da sie eine bessere Welt nach theoretischen Vorstellungen "herstellen" will. Die Zuständereform garantiert keine wirklich dauerhafte Verbesserung, da der vollzogene Wandel nicht notwendigerweise von den Menschen mitgetragen wird, selbst also jederzeit "anfällig" ist. Die Zuständereform kann durchaus den tatsächlichen Interessen und Bedürfnissen der Menschen zuwiderlaufen und damit die erstrebten Verbesserungen ins Gegenteil verkehren.

Eine eindeutige oder verbindliche Entscheidung über das Für und Wider von Zuständereform bzw. Gesinnungsreform ist, da keine entsprechenden objektiven Kriterien vorliegen, nicht möglich; eine solche Beurteilung kann und wird vielmehr unterschiedlich ausfallen und ist letztlich immer subjektiv geprägt. Festzuhalten ist an dieser Stelle nur, dass Kolping in seinem Wollen und Handeln ganz eindeutig der Gesinnungsreform den Vorrang eingeräumt hat, ohne damit freilich Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten auch struktureller Reformen gänzlich zu leugnen oder zu verneinen. In kennzeichnender Weise wird diese Haltung in dem Satz deutlich: "Zerbrecht Euch die Köpfe aber die beste Staatsmaschine, wie Ihr wollt. Ersinnt Gesetze, weiche in ihrer klugen Berechnung das ganze Altertum beschämen, solange Ihr nicht ein tüchtiges Familienleben, eine tüchtige bürgerliche Gesinnung und Tugend erzeugt und erzieht, den Geist erweckt, in dem Eure Gesetze erst Leben empfangen, werdet Ihr Wasser in ein Sieb tragen.“ 22)

Die Skepsis gegenüber der bloß äußerlichen Zuständereform erklärt schon zum guten Teil das weitgehende Fehlen einer "sozialpolitischen Komponente" im Gedankengut Kolpings. Staatliche Eingriffe in das gesellschaftliche Leben werden von Kolping zwar nicht grundsätzlich abgelehnt, von einer Forderung nach umfassender Staatstätigkeit im Hinblick auf die Gestaltung bzw. Regulierung des sozialen Lebens in seinen verschiedenen Teilbereichen kann jedoch nicht die Rede sein. Zur angemessenen Sicht dieser Tatsache ist allerdings zu bedenken, dass damit keine Position gegen eine herrschende Praxis bezogen wurde; eine ausgefaltete Sozialpolitik im heutigen Verständnis war ja zu Lebzeiten Kolpings überhaupt nicht vorhanden.

Ein weiteres ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, weniger aus Grundpositionen erwachsend, als vielmehr von aktuellen Erfahrungen geprägt: Kolpings Wirken steht in einer Zeit, wo das politische Leben in zunehmendem Maße von liberalem Gedankengut bestimmt wurde, wo die Bemühungen der Kirche und damit auch des Katholischen Gesellenvereins um die verantwortliche Mitgestaltung der Gesellschaft bestenfalls mit erheblichem Misstrauen verfolgt wurden, wo in der politischen Auseinandersetzung Positionen dominierten, die ganz und gar nicht den eigenen entsprachen, und wo aktuelle politische Entscheidungen vielfach als falsch und gefährlich gewertet wurden. Vor diesem eigenen Erfahrungshintergrund war es für Kolping schlechterdings unmöglich, besondere Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Staates zu postulieren, wenn erwartet werden musste, dass die Wahrnehmung solcher Aufgaben keine den eigenen Vorstellungen entsprechenden Ergebnisse würde erbringen können.

 

6. Kolpings Aktualität

 

Müßig wäre der Streit über die Frage, ob bzw. inwieweit Kolping mit seinen Analysen und Beurteilungen der Zeit Recht gehabt hat oder nicht, ob bzw. inwieweit seine Zielvorstellungen richtig waren oder nicht. Die Antwort auf diese Frage wird in jedem Falle – je nach eigener Einschätzung – unterschiedlich ausfallen und ausfallen können. Unzweifelhaft aber ist, dass vieles von den hier skizzierten Vorstellungen und Zielsetzungen Kolpings auch heute in einer weithin gewandelten Situation aktuell ist und mit Gewinn in das eigene Wollen und Handeln eingebunden werden kann. Für das Kolpingwerk, das sich in seinem Programm ausdrücklich zur Person und zum Wollen seines Gründers bekennt, ist der Kolpingsche Ansatz – im rechten Verständnis auf die heutige Zeit übertragen, was die klare Differenzierung zwischen bleibenden Grundpositionen einerseits und zeitbedingter Ausformung andererseits einschließt – weiterhin wegweisende Leitlinie.

 

Anmerkungen

1) Feierstunde 1851, S. 151

2) Rheinische Volksblätter 1854, S. 223
3) Rheinische Volksblätter 1854, S. 422
4) Rheinische Volksblätter 1858, S. 759 f.
5) Rheinische Volksblätter 1859, S. 709
6) Rheinische Volksblätter 1861, S. 115
7) Rheinische Volksblätter 1860, S. 701
8) Mitteilungen für die Vorsteher der Katholischen Gesellenvereine 1865, Heft 4, Spalte 113
9) Rheinische Volksblätter 1859, S. 80
10 »Rheinische Volksblätter 1857, S. 497
11) Feierstunde 1851, S. 50 f.
12) Rheinische Volksblätter 1860, S. 796
13) Rheinische Volksblätter 1858, S. 699
14) Rheinische Volksblätter 1860, S. 18
15) Rheinische Volksblätter 1855, S. 236
16) Rheinische Volksblätter 1859, S. 293
17) Rheinische Volksblätter 1854, S. 14
18) Rheinische Volksblätter 1863, S. 5
19) Vereinsorgan 1850, S. 21
20) Rheinische Volksblätter 1856, S. 49 f.
21) Rheinische Volksblätter 1858, S. 621
22) Felerstunde 1851, S. 47

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BR-Begleitmaterial

Das Bayerische Fernsehen hat den Dokumentarfilm „Kolping“ gesendet und dazu Begleitmaterial herausgegeben, auch für den Schulunterricht.

Hier zu den Begleittexten

Kolping – der Publizist

Adolph Kolping war nicht nur Gesellenvater, Sozialreformer, Pädagoge und Pionier der Erwachsenenbildung, sondern zugleich auch einer der erfolgreichsten katholischen Publizisten.

Weitere Infos

Was würde Kolping heute tun?

Was würde Adolph Kolping heute – 200 Jahre nach seiner Geburt – in meiner Stadt tun? – Einige Gedankenanstöße.

Hier zum Beitrag